Skip to main content

Echt jetzt, Askese???

Geschrieben von Iris Bawidamann am .
Foto von Etienne Girardet auf Unsplash

Die Erkenntnis trifft mich wie ein Blitz. Sofort beginne ich, meine Psyche aufzuräumen.

Mit dem Wort und christlichen Konzept der Askese konnte ich nie viel anfangen. Ich sehe Nonnen vor mir, die auf Steinböden knien, den ganzen Tag beten, nur Wasser und Brot zu sich nehmen. Sie dürfen nicht lachen, nicht lebendig sein, es ist kalt. Ich sehe die strenge Mutter Oberin und machtgierige Kirchenoberste.

Dann flattert dieser Textausschnitt zu mir (Danke Eva!), mit einer neuen Definition, der „Askese der Zukunft“:

Askese ist nicht Verzicht sondern die Konzentration auf das Wesentliche.
Das größte Missverständnis der Askese ist
Der Verzicht
In der Askese der Zukunft
Die aus keiner Religion komm
t
Und keinem System dient
Geht es nicht ums Verzichten
Es geht darum zu erkennen
Wie wenig ich brauche
Was brauche ich wirklich

Askese, in wenigen Worten
Ist die Übung der Konzentration auf das Wesentliche
Eine Verständigung mit sich
Über die Frage
Worauf es ankommt.

(John von Düffel: Das Wenige und das Wesentliche, S.7)

Hier war er, der Blitz. Askese ist nicht Verzicht, sie ist der Fokus auf das Wesentliche. Der modernere Begriff ist vielleicht der Minimalismus. Auch da: es geht nicht darum, möglichst wenig zu haben, sondern das Wesentliche in den Fokus zu rücken. Meine „Dinge“ habe ich schon gut aussortiert. Ich habe kaum noch „Zeug“, von dem ich gar nicht weiß, dass ich es habe und es nicht benutze. Teller haben wir trotzdem mehr als die drei, die wir regelmäßig brauchen. Denn das Wesentliche sind nicht nur die Teller, sondern Leichtigkeit, Gemeinschaft, ganz ehrlich auch Gewohnheit. Klar würden wir auch mit 3 Tellern zurechtkommen, aber nur weil ich es kann, muss ich es ja nicht.

Durch den „Blitzschlag“, der durch den Text oben ausgelöst wurde, haben sich verschiedene Gedanken in mir verbunden: Michael Singer (Bestsellerautor von „The untethered soul“ und „The surrender experiment“) weist immer wieder darauf hin, wie viel wir in uns ansammeln. Wie viele schlechte Erinnerungen wir z.B. behalten. Ein Bild, das er benutzt, hat sich mir sehr eingeprägt. Sinngemäß sagt er: „Es ist, als ob wir alles Essen, das schlecht ist, aufheben und irgendwo sammeln.“ „Oh, der Apfel ist braun und schimmlig, ungenießbar. Den hebe ich auf!“ Oder: „Dieses Gericht schmeckt so gruselig, davon stelle ich ein Schälchen ins Regal.“ Das würden wir nicht tun. Die Analogie zu Erinnerungen und Gedanken, die uns nicht guttun, die wir aber ständig doch wieder hervorkramen, gefällt mir sehr gut. Es geht um das Festhalten. Das Aufheben, das Sammeln. Beziehungsweise umgekehrt um eine innere Askese. Bei Michael Singer geht es auch um schöne Situationen, die wir festhalten und versuchen zu rekonstruieren. Das kann nur schief gehen. Damit sind wir nicht mehr im Jetzt. Wenn du einem Restaurant warst und das beste Essen deines Lebens gegessen hast, rät Singer: „Geh´ nicht wieder hin!“ Es wird nie mehr so sein!

Zurück zur Askese und meiner Psyche: was ist das Wesentliche? Was brauche ich wirklich? Nicht nur im Außen, sondern auch und vor allem im Inneren? An welchen Situationen, Gedanken und Erinnerungen halte ich fest? Welche sind wirklich wesentlich? Was sind die Dinge, über die ich dauernd nachdenke, ohne dass sie mir guttäten oder sich etwas ändern würde? Mir fallen direkt so einige ein.

Askese könnte meinen: lass´ sie gehen. Verzichte darauf, diese Gedanken weiter zu denken.

Ja, das ist nicht leicht, denn die Gedanken und Erinnerung kommen wieder – jedoch kann ich entscheiden, ob ich sie festhalte und weiter denke, oder ob ich sie ziehen lasse. Sie durch meinen Körper fließen lasse, die Erfahrung, die damit zusammenhängt verarbeite und dadurch immer mehr im Jetzt sein kann. Nein, es ist nicht einfach – aber auch kein Ding der Unmöglichkeit. „Disziplin“ kommt mir hier in den Sinn. Ich kann das entscheiden. Robert Gonzales kommt mir in den Sinn, mit Living Compassion und „umarme, was ist“; lass´es da sein, lass es durch dich hindurch fließen. Sperre es nicht ein, halte es nicht fest. „Nichts-Tun-Workshop„, Dyaden-Meditationen – plötzlich bekommt alles in mir einen neuen Platz. Mit Askese – dem Fokus auf das Wesentliche, nicht nur im Außen, sondern auch und vor allem in mir drin. Es scheint mir verschiedene Herangehensweisen mit demselben Ziel zu geben: ich räume alles weg, was ich nicht brauche, bis nur noch das Wesentliche übrig ist, oder ich picke das Wesentliche heraus und alles, was ich nicht herausgepickt habe, kann weg. Askese? I like.

Kommentare (10)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere Blogbeiträge

Die mutigste Tat deines Lebens…

Jürgen Engel
01/10/2024

Trigger = Fehlalarme des Gehirns

Iris Bawidamann
26/09/2024

Klassentreffen 2.0

Jürgen Engel
19/09/2024

Ich hatte ganz vergessen, wer ich eigentlich war…

Iris Bawidamann
11/09/2024

Was 40 Dyaden in einer Woche mit dir machen

Jürgen Engel
05/09/2024

Was ein Dampfkochtopf mit meiner Seelenhygiene zu tun hat…

Jürgen Engel
21/08/2024

Unsere Seminare