Was Disziplin mit Liebe zu tun hat
Von Disziplin wollte ich nie etwas hören. Doch dann traf ich diesen Mann.
Disziplin ist beim Bund im Matsch robben, nur weil es jemand sagt. Disziplin ist Dinge tun, die ich nicht will, weil es für irgendwas mal gut sein könnte. Disziplin ist das Gehirn an jemand abgeben, der für mich denkt. NOT FOR ME! Wie viele Diskussionen habe ich dazu als Jugendliche mit Eltern, Lehrer:innen und Wehrdienstlern geführt. Danke an dieser Stelle für eure Geduld ;-).
Disziplin ist aber auch, wenn Einsatzkräfte genau wissen, was zu tun ist. Wenn klar ist, wer die Entscheidungen trifft. Wenn ich nicht immer den leichteren Weg gehe, sondern den, der mich dahin bringt, wo ich hin will. Das kann natürlich auch oft der Leichtere sein, aber nicht immer.
Disziplin kann auch sein, mal den Mund zu halten. So gut ich mit Menschen umgehen kann, so gut ich sie verstehen kann, so gut ich sie kenne, mindestens genauso gut kann ich sie auch verletzen. Natürlich gebe ich das nicht gerne zu. Schon gar nicht als Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation. Über die Jahre bin ich Profi darin geworden, so zu schubsen, dass es nicht so leicht zu erkennen ist. Manchmal reicht ein Blick, ein Wort, der Tonfall. Es braucht nicht viel, um einen Pfeil abzuschießen, der trifft. Ich brauche mich nicht laut zu streiten, ich habe andere, subtilere Mittel, um meinen Unmut auszudrücken.
Doch dann kam dieser Mann. Die Liebe. Nach der ersten Verliebtheit beginne ich wie gewohnt meine Pfeile zu verschießen, mein Revier abzustecken. Doch dann das Unerwartete: der Mann setzt sich zu mir, beschreibt mein Verhalten und sagt mir, was es mit ihm macht, wie er sich dabei fühlt. Ein Teil von mir jubelt, denn ich will ja, dass er sich unterlegen und elend fühlt, wenn ich wütend bin. Jedoch meldet sich ein neuer Anteil in mir. Moment mal. Das ist doch der Mensch, den ich liebe. Für den ich einen weiten Weg gegangen bin – und glaube mir – das war NICHT der einfachste Weg. Ich möchte doch, dass es ihm gut geht, dass es uns gut geht, dass es mir gut geht. Ich fange an innerlich auszurechnen: wie viel gibt es mir, in der Wut etwas zu sagen, was ihn verletzt und auf der anderen Seite: wie viel kostet es ihn und damit uns und mich, die Wunden zu lecken, zu versorgen, zu heilen? Wie viel Zeit liegt zwischen den „Pfeilen“, die ich abschieße? Reicht die Zeit zum heilen oder werden es immer mehr Wunden mit der Zeit? Mein Ergebnis: Es werden immer mehr Wunden und der Preis den ich, er und wir bezahlen ist immens hoch. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Verletzungen so viele oder so stark sind, dass dies das Ende der Beziehung ist. Dafür, dass ich mich für ein paar kurze Momente kurzfristig besser fühle, weil ich meine Wut an ihm auslasse. Mathe war nie mein Lieblingsfach, aber DAS verstehe ich.
Doch es ist so verführerisch. Dieser kurze Moment des mich stark Fühlens. Außerdem sind die Worte oft schon gesprochen, bevor ich groß darüber nachgedacht habe. Was tun?
Ich entscheide mich, extrem achtsam zu sein. Ich entscheide mich, meine Wahrheit zu sagen. Die echte Wahrheit. Die, die unter dem Ärger und der Wut steckt. Ich entscheide mich aufzuhören, wenn wir in eine Diskussion geraten, die nicht fruchtbar ist, die zu eskalieren droht. Ich entscheide mich, alle meine Gefühle zuzulassen, zu erlauben aber sie nicht als Giftpfeile zu verschießen.
Ich bin überrascht. All das kann ich entscheiden? Ja, all das kann ich entscheiden. DAS ist Disziplin. Ich kann das entscheiden und tun, auch wenn es mir echt nicht immer leicht fällt (und auch nicht immer gelingt). Auch das ist für mich Disziplin. Sie lohnt sich. Mittlerweile liebe ich sie. Sie macht mein Leben so viel einfacher. Es gibt so viel weniger Konflikte aufzuräumen. Ich kann mich besser spüren mit dem, worum es eigentlich geht. Ich kann entscheiden, ob ein Missverständnis zum Konflikt eskaliert. UND ich kann meine echte Wahrheit ausdrücken. Das worum es wirklich geht.
Gibt´s nicht dieses Lied „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben..“? Ich wünsche euch zweien alles Gute! Wie schön, sich selbst auch nochmal oder wieder neu und tiefer kennen zu lernen in einer Beziehung.
Liebe Iris,
Danke für deinen Blog, danke für deine Offenheit, das berührt mich.
Disziplin um sich ein Bedürfnis zu erfüllen, ganz bewusst aus dem alten, so bekannten Muster aussteigen…. wow, bin sehr berührt und beeindruckt
Herzliche Grüße
Katrin
Uff, ja, die alten Muster können manchmal ganz schön stark sein, aber oft eben nicht hilfreich. Danke für deinen Zuspruch, das macht Mut, mehr zu teilen 🙂
Danke für die Erzählung der persönlichen Erfahrung.
Die unbearbeiteten Reflexe.
Mein intensives, neues Lernen und die „Disziplin“ dazu, dran zu bleiben, entstand aus dem Satz von Frankl „ich muss mir von mir selbst auch nicht alles gefallen lassen“. Der hat mein Umgang mit mir und meinen alten Automatismen verändert.
Bei mir war die Motivation nicht so sehr die Liebe, sondern die Würde ( Würde ist ein Ausdruck der Achtung, die Menschen aufgrund ihres Menschseins sich selbst entgegenbringen“, A. Margalit, in: Aleida Assmann, Menschenrechte und Menschenpflichten)
haha, was ein toller Satz: „Ich muss mir von mir selbst auch nicht alles gefallen lassen.“ Mega-gut. Der inspiriert mich total. Wie schön, wenn man die Disziplin auch aus Selbstliebe aufbringt! Denn wer sonst ist noch wichtiger, als man selbst?!?
Liebe Iris,
Danke für diesen Beitrag. Deine Offenheit ist ein Geschenk für die Welt und auch genau jetzt eines für mich. Ich bin berührt und betroffen. Mit dem Thema der kleinen Pfeile, Spitzen, dem Menschen gegenüber, den ich liebe, befasse ich mich gerade sehr stark und stehe oft kopfschüttelnd neben mir selbst. Danke für die Erinnerung an diese Disziplin in der Liebe zu seinem, meinem und unserem Wohl.
Hallo Barbara, Danke für deine Worte. Manchmal vergessen wir, dass der liebste Mensch in unserem Leben keine Zielscheibe ist, sondern eben unser Lieblingsmensch. Bin gespannt, wie es sich bei dir weiter entwickelt
Liebe Iris,
ich bin auch sehr berührt von deiner Offenheit und Ehrlichkeit. Dein Blog regt mich an, viel öfter hinter all die Gründe für mein Handeln zu „schauen“ und lieber meine Gefühle wahrzunehmen und darüber zu sprechen. Disziplin bekommt für mich eine neue „Dimension“. Danke für die Inspiration.
Wie schön, dass ich eine neue Dimension von Disziplin aufzeigen konnte. Es ist und bleibt ein sehr spannender Prozess für mich.
Das inspiriert much voll Iris. Und ich nehm auch mit. Disziplin ist, sich selbst mal nicht so wichtig nehmen ( für mich passt das). Und es liest sich zudem wie eine Liebeserklärung an den Jürgen. xxx
Huhuuu, liebe Tanja! Hihi, ja, ist auch eine Liebeserklärung, stimmt ;-). Das bringt es gut auf den Punkt für mich: „mich selbst mal nicht so wichtig nehmen“. Liebe Grüße an dich und deinen Liebsten!
Liebe Iris
das beeindruckt und berührt mich sehr.
Einmal , weil ich mit dir selbst einmal eine solche Situation erfahren habe und danach dich einfach be/verurteilt habe…
Und besonders , weil ich mich auch in diesem Verhalten erkenne und das in meiner letzten Beziehung ziemlich schnell zum Ende geführt hat .
Du machst mir Mut , danke.
Hallo Sabine, danke für deine Ehrlichkeit und Offenheit. Ich kann mich nicht an die Situation erinnern, also zumindest hat sie keine bleibenden Schäden hinterlassen 🙂 Danke auch, dass du „Mut“ erwähnst. Ich denke, wir sollten nicht aufhören, immer wieder und weiter das zu leben, was uns wichtig ist, auch wenn es nicht immer . Immer wieder habe ich das Bild, dass wir Menschen eigentlich „Außerirdische“ sind und versuchen heraus zu finden, wie das Leben hier auf der Erde funktioniert. Da gehört es dazu, dass wir öfter (oder auch ziemlich oft) stolpern.
Wow, Iris, ich bin sehr berührt und ergriffen von deiner Offenheit und Ehrlichkeit. Ö
Warum? Ich erkenne mich in Teilen wieder, habe auch so eine Seite. Und kürzlich eine neue Liebe kennen gelernt. Einen Mann, der so anders ist, gut mit seinen Gefühlen verbunden, dass ich mich aufgrund meiner GfK-Erfahrung bei einer Vorsicht und Achtsamkeit ertappe, die mich selbst erstaunt. Welch Wachstum (da möglich ist)…. Danke für deine Geschichte!!! Sie macht mir viel Mut