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Wie groß ist dein Gefängnis?

Geschrieben von Jürgen Engel am .

Heute morgen habe ich zum Abschluss meines Besuchs in Dublin zusammen mit Iris das berühmte Kilmainham Gaol Gefängnis in Dublin besucht. Das Bild zeigt den beeindruckenden Ostflügel des Gefängnisses, der in zahlreichen Filmen als Kulisse dient, unter anderem in „Michael Collins“, ein berühmter Führer des Irischen Unabhängigkeitskampfes.  

Es war eine beeindruckende und bewegende Führung durch diesen historischen Ort, wobei mich besonders die intensive Vorstellung der harten Lebensbedingungen an solch einem Ort vor über 200 Jahren bewegt hat. Wie muss es sich angefühlt haben, wenn solch essentielle Bedürfnisse wie Freiheit und Autonomie, aber auch Sicherheit, eigener Raum und viele andere über Jahre so fundamental unerfüllt sind…?

Äußere und innere Freiheit

Gleichzeitig beschäftigt mich das Thema „Freiheit & Autonomie“ schon sehr lange, insbesondere die Unterscheidung von „äußerer“ und „innerer“ Freiheit. Was meine ich damit?

Im (physischen) Gefängnis ist meine „äußere“ Freiheit, also das Maß der Möglichkeiten, mich zu bewegen und verschiedene Dinge zu tun, auf ein absolutes Minimum eingeschränkt. 

Auch wenn ich nicht im Gefängnis bin, kann meine „äußere“ Freiheit begrenzt sein, abhängig z.B. davon, in welchem Land ich lebe. Je nach Staatsform, Religion und anderen Faktoren, habe ich je nach Wohnort wesentlich mehr oder weniger Möglichkeiten und Freiheiten. Auch mein Alter und mein Geschlecht kann meine Freiheit begrenzen. Als Kind kann ich wesentlich weniger allein entscheiden, als als Erwachsener. Wenn ich wenig oder gar kein Geld zur Verfügung habe, schränkt sich mein Handlungsspielraum ebenfalls dramatisch ein. Dies sind einige der „äußeren“ Faktoren, die mir spontan einfallen, die das Maß meiner Möglichkeiten erweitern oder einschränken können.

Was mich allerdings weit mehr fasziniert ist das, was ich für mich als „innere Freiheit“ oder eben auch Unfreiheit benannt habe. Denn äußerlich fühle ich mich hier in Deutschland kaum nennenswert eingeschränkt. Ja, ich „muss“ Steuern zahlen, darf Dinge die gesetzlich verboten sind nicht tun und einiges mehr, doch nichts davon fühlt sich für mich als schmerzlich präsente Unfreiheit an.

Worüber ich mir immer mehr bewusst bin, ist wie viele „innere“ Gefängnismauern in mir sind. Durch meine Muster, Ängste, Scham, Überzeugungen und Glaubenssätze. Je sensibler ich werde, um so öfter fällt es mir auf:

Spreche ich ein fremdes Gegenüber in der Bahn an, einfach so, um ein Gespräch zu beginnen?

Nehme ich an der Käsetheke ein Stück zum Probieren, auch wenn ich sicher bin, den Käse nicht kaufen zu wollen?

Mache ich einen Witz der mir gerade einfällt, oder halte ich ihn zurück, weil ihn vielleicht jemand nicht lustig findet?

Gehe ich in ein Restaurant und frage, ob ich die Toilette benutzen kann, auch wenn ich dort nichts verzehre?

Sage ich meiner Partnerin, wo und wie ich gerne intim berührt werden möchte?

Versuche ich im Ausland meine wenigen Sätze, die ich in der Landessprache kann, oder weiche ich sofort auf Englisch aus?

Probiere ich im Seminar spontan eine ganz neue Übung, die ich noch nie probiert habe, oder nehme lieber das Sichere, Bekannte?

Tanze ich in der Fußgängerzone, weil mir gerade die Musik, die ich höre gefällt, oder halte ich mich zurück?

Kündige ich den Job, der mich nicht erfüllt, auch wenn ich noch keinen neuen habe?

Das sind nur die ersten Beispiele, die mir ohne nachzudenken einfallen und ich könnte diese Liste endlos fortsetzen. Kennst du das auch? Wie würde deine Liste aussehen? DAS ist für mich das relevante Gefängnis: MEIN eigenes, inneres Gefängnis. Die Welt steht mir offen, ich kann fast alles tun und lassen was ich will. Aber wie viel davon tue ich wirklich? Und geht es dabei um die große Weltreise, das riesige Wagnis, oder vielleicht viel mehr um die vielen, täglichen Momente, an denen sich entscheidet, ob ich frei bin oder nicht?

Was bewegt es in dir das zu lesen? Kennst du diese inneren Gefängnismauern? Oder fühlst du dich weitgehend frei? Ich bin gespannt und freue mich auf einen Austausch! 🙂
Jürgen

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