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„Negative“ Gefühle gibt’s nicht! Oder doch…? 🤔

Geschrieben von Jürgen Engel am .

Gerade gestern hab‘ ich mal wieder einer kleinen Gruppe in Frankfurt das Thema Gefühle und Bedürfnisse näher gebracht. Wie immer sammle ich die Gefühle am Flipchart: Die eher unangenehmen in rot auf einer Seite: müde, traurig, ängstlich, ärgerlich, unsicher u.s.w. Die angenehmen in Grün auf der anderen Seite: glücklich, entspannt, wach, inspiriert u.s.w.
Wie meistens kam aus der Gruppe die Bezeichnung „positive“ und „negative“ Gefühle für die beiden Kategorien.

Wie immer habe ich erklärt, warum ich sie nicht so nennen möchte. Das bewerten der Gefühle auf diese Art hat eine Wirkung. Die einen sind „gut“ sind in Ordnung, wünschenswert, die anderen nicht. Sie sind „negativ“ und müssen möglichst bald beseitigt werden.

Nach ein wenig Beschäftigung mit Gefühlen leuchtet es den Meisten ein, dass alle Gefühle wichtig sind. Gleichwertig und gleich wichtig. Die „roten“ sind insofern wichtig, als dass sie uns ein Signal geben, dass das ein oder andere Bedürfnis gerade unerfüllt ist. Welches das ist, müssen wir dann noch selbst heraus finden. Das ist nicht immer so einfach.

Und direkt heute morgen ist es wieder passiert: Ich habe mich nicht „gut“ gefühlt. Irgendwie müde, bedrückt, mit so einem leichten Knoten in der Magengegend. Melancholisch und ein bischen traurig. Und auch wenn mir so klar ist, dass diese Gefühle wichtig sind und zu mir gehören, stellt sich wie so oft augenblicklich ein Widerstand ein: Aaaaaaah! Ich mag‘ mich nicht so fühlen. Das fühlt sich nicht gut an, ist anstrengend und sofort habe ich nicht so richtig Lust auf den Tag. Und schon gar nicht auf die Arbeit. Am Rechner sitzen, die überlange To-Do Liste anschauen. Pfffff.

Und natürlich stimmt irgend etwas nicht mit mir, wenn ich solche „negative“ Gefühle habe. Das ist immer noch tief in meinem Unterbewusstsein abgespeichert. Ich kann meinen Widerstand gegen diese Gefühle körperlich wahr nehmen. Und den Drang mich abzulenken. Das muss weg. Solange ich mich so fühle, ist etwas nicht in Ordnung. Und das muss „repariert“ werden…

Glücklicherweise haben wir am morgen ein „Check-In“ mit dem KLARWEIT Team, wo wir alle teilen, wie es uns geht. Ich fühle mich da sicher, weil ich weiss, dass es OK ist, zu teilen, dass ich nicht so gut drauf bin. Niemand verurteilt mich dafür. Und es tut gut, es auszusprechen. Das ist ein Anfang.

Trotzdem begleiten mich diese Gefühle den Rest des Tages. Und ich vergesse (mal wieder) den besten Rat, den ich damals von meinem Lehrer, Robert Gonzales, zu diesen Gefühlen bekommen habe: „Sit with it!“. Also: Sitz damit!
Was hat er damit gemeint? Gib‘ diesen Gefühlen Aufmerksamkeit. Nicht ein bischen, mal kurz und nebenbei. Nein, setz‘ dich hin, und gib‘ den Gefühlen und Wahrnehmungen in dir deine volle Aufmerksamkeit.
Behandle sie wie etwas wirklich wichtiges, denn das sind sie.

Bis heute ist das eine der schwersten Übungen für mich. Es klingt unheimlich simpel und ist eine immense mentale und emotionale Herausforderung. Wenn ich mich wirklich in Ruhe hin setze und mich NICHT ablenke. Als NICHTS tue (etwas das mich sowiso schon länger fasziniert… 😉 dann bekommen diese Gefühle und Wahrnehmungen wirklich Raum. Und ich kann beobachten, wie ich innerlich nervös werde. Das ist die Angst vor diesen Gefühlen. Kennst du diese Angst? Sie kann subtil sein oder auch richtig stark. In jedem Fall gibt es in mir ein sehr starkes, seit der Kindheit eingeübtes Muster, mich mit allen Mitteln der Kunst von diesen Gefühlen abzulenken. Das absolut LETZTE was ich gelernt habe, ist mich still hin zu setzen und mich auch noch direkt darauf zu konzentrieren.

Und genau DAS ist in meiner Erfahrung das Beste, was du tun kannst. Achtung: Es bedeutet nicht diese Gefühle „anzustarren“, damit meine ich innerlich einzufrieren und völlig fixiert zu sein auf eine Wahrnehmung. Nein, einfach entspannt da sitzen und beobachten was sich in mir bewegt. Und es bewegt sich. Die Gefühle sind nicht statisch. Und das magische ist: Wenn ich es schaffe lange genug zu sitzen, da braucht es meist keine Stunden, selbst 10 bis 15 Minuten sind da schon richtig viel, dann verändert es sich in mir.

Von elementarer Bedeutung ist dabei, mich nicht in meinen inneren „Geschichten“ zu verfangen. Wenn mein Kopf anfängt Geschichten zu erzählen, über die Trauer, die Zukunft, warum alles so schrecklich ist und nicht besser wird, dann bin ich in einer Schleife des Leidens. Das kann ich dann unbegrenzt fortsetzen und mich damit Quälen. Es ist wichtig das zu bemerken und meinen inneren Erzähler an die Leine zu legen. Und ja, das ist nicht immer so einfach.

Wenn ich einfach mit meinem Gefühle sein kann, wird es bald weicher, wärmer und die Trauer oder was auch immer gerade in mir da ist, wird zu einer Art warmem Bad. Sie hat etwas heilsames, geradezu beruhigendes. Auch jetzt, während ich schreibe, ist sie noch da. Dabei fühle ich mich ziemlich präsent, mit mir verbunden. Es ist ein besonderes Gefühl oder Zustand. Und ganz sicher nicht „negativ“. „Enjoy the pain“ hat Marshall Rosenberg mal gesagt, und vielleicht hat er das damit gemeint.

Was funktioniert für dich, wenn du dich nicht gut fühlst? Lenkst du dich ab, oder hast du einen Weg mit diesen Gefühlen zu sein? Hast du es schon mal probiert, einfach damit zu sitzen? Was sind deine Erfahrungen?

Neugierige Grüße
Jürgen

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