Ich bin traurig…. und jetzt…?
Seit einigen Tagen ist meine Stimmung getrübt. Es geht mir „komisch“, sage ich manchmal dazu. Ohne dass ich einen genauen Auslöser identifizieren kann, bin ich „nicht so gut drauf“. Wenn ich mich ein wenig darauf konzentriere merke ich: Es ist ein melancholisches, ja, ein trauriges Gefühl…. Ich bin traurig. Allein jetzt beim Schreiben fühle ich, wie es an Intensität zunimmt. Weil ich darüber spreche bzw. schreibe.
Und jetzt? Was tun mit der Trauer? Lustig und unbeschwert sein ist schöner, und ich weiß noch nicht mal, was eigentlich los ist. Also, was tue ich damit? Zunächst mal nicht das, was ich reflexhaft schon immer getan habe: Mich bestmöglich in Aktivitäten jedweder Art flüchten, mich ablenken, damit ich möglichst wenig davon mitbekomme, bis sich dieses unwillkommene Gefühl wieder verflüchtigt hat.
Also versuche ich mal, was ich gelernt habe: Sitzen, verlangsamen, spüren….
Da gibt es ein wenig Widerstand, da ist die Angst vor der Trauer: Was, wenn sie ganz groß wird und mich überwältigt? Gar nie wieder weg geht? Eine wohl bekannte Angst. Ich höre sie, gebe dem Teil der sich da meldet etwas Empathie und Aufmerksamkeit, und es entspannt sich etwas.
Iris ist diese Woche im Urlaub, so dass ich gerade viel Zeit alleine habe, und ich nutze einen Teil davon um einfach mit meinem traurigen Gefühl zu sitzen. Wirklich aufmerksam zu sitzen, ohne Ablenkung, und beobachte dieses warme, dunkelblaue Gefühl, wie es sich im Körper bewegt. Es ist ein sehr körperliches Gefühl. Nach einer Weile hat es sogar etwas angenehmes, ein fast warmes, kuschelig eingehülltes Gefühl…
Gehen ist auch gut. Bei den täglichen Spaziergängen mit unserem Hund Charlie gehe ich gerade langsamer als sonst. Ich spüre der Trauer beim Gehen nach und beobachte, wie sich die Landschaft durch die Brille der Trauer verändert. Wie ich mich und meine Umwelt wahr nehme. Ich versuche, so wenig Widerstand wie möglich gegen die Trauer aufzubauen. Das gelingt ganz gut. Wer weiß, vielleicht höre ich sogar mal ein trauriges Lied dazu und sehe, was passiert. Das wäre etwas ganz Neues…
Ich spreche auch darüber. Beim Check-In mit dem Team am Morgen kann ich teilen, wie es mir geht, oder in anderen Kontakten und Gesprächen mit Freunden. Gut ist, dass ich da überwiegend mit sehr sensiblen, emphatischen Menschen zu tun habe, die meine Trauer einfach hören und akzeptieren. Ich bekomme keine Analyse und auch keine Ratschläge. Und vor allem weiß ich, dass ich so da sein darf und nicht so tun muss, als wäre nichts. Das ist eine große Erleichterung. Es ist schön, so da sein zu dürfen, wie ich gerade bin.
Ich weiß immer noch nicht was der Auslöser der Trauer ist. Und gerade hat es keine Dringlichkeit dies heraus zu finden. Früher war ich überzeugt die „Ursache“, den „Auslöser“ für alles finden zu müssen. Selbstverständlich auch die Auslöser meiner Gefühle. Vor allem als „guter GFK-Trainer“….😇
Und gerade ist es völlig in Ordnung, ja sogar eine Entlastung, es nicht wissen und erforschen zu müssen. Ich vertraue, dass die Trauer ihren Grund hat und dass sie wertvoll ist. Und dass sich etwas lösen und heilen wird, auch wenn ich „nur“ mit dem Gefühl bin und nichts weiter damit unternehme.
Ich weiß sehr genau, dass die Trauer mein Freund ist. Sie ist ein elementar wichtiges, leben erhaltendes Gefühl. Eine der zentralsten und wichtigsten Emotionen. Und sie ist sehr lebendig. Ich kann mich und meine Bedürfnisse und Sehnsüchte in der Trauer besonders intensiv spüren und sogar genießen. Und doch bleibt sie auch immer noch ein Mysterium und eine Herausforderung. Immer noch gibt es Widerstand, einfach Raum für dieses Gefühl zu schaffen und es willkommen zu heißen.
Immer noch lebt in mir: Freude ist gut. Trauer ist schlecht. Obwohl ich weiß, dass das nicht stimmt. In kleinen Schritten freunde ich mich immer mehr mit all diesen Emotionen an. Insbesondere denen, die erst mal schwierig, schmerzhaft und herausfordernd sind. Und ich bin sehr dankbar für das, was ich über den Umgang mit meinen Gefühlen gelernt habe. Sie sind weit weniger mysteriös und beängstigend als früher…. ❤️
Wie ist das bei dir? Was machst du, wenn Trauer oder andere, herausfordernde Gefühle in dir sind? Was funktioniert für dich? Ich bin gespannt! 🙂
Jürgen
Ich lerne MICH kennen und BEFREIEN.
Ich finde es manchmal ganz schön, traurig sein zu können. Mir Zeit zu nehmen, für das was da gerade verabschiedet werden möchte und es damit auch wertzuschätzen. Ganz im Vertrauen, dass die Traurigkeit sich entwickelt, verändert und dann auch wieder Platz macht für Freude.
Ich bin heute gerade traurig (und weiss schon, was der Auslöser ist) und deshalb war es besonders willkommen über Deine Trauer lesen zu dürfen. Es bedeutet Unterstützung für mich.
Das Gefühl der Trauer, so viel Lebendigkeit spüre ich, wenn ich mich darauf einlassen.
Einen inneren Raum finden und ihn feiern.
Trauer, auch mein Lebensthema, meine Quelle und zugleich Ressourcen, die mir zeigt, sei langsam, achtsam.
Es passt für mich wunderbar in die Osterwoche, wo Abschied, Trauer und Neubeginn so nah beieinander sind.
Sehr bekanntes Gefühl, das der anscheinend \“ unbegründeten\“ Trauer.
Und für mich oft schlecht auszuhalten, ebenso wie andere, sogenannte \“ schlechte Gefühle. Ich bin dankbar, zu lesen, dass selbst GfK- Profis sich um einen Umgang damit bemühen, der nicht immer nur einfach ist. Ebenso, wie zu lesen, dass es auch in Ordnung sein kann, die Traurigkeit einfach mal existieren zu lassen, ohne ihre Ursache zu kennen oder sie ( sofort) finden zu müssen. Beruhigt mich sehr.
Und was hilft mir? Oft sind es geführte Meditationen mit dem Thema \“Compassion und loving kindness\“. Und… Atmen!
Danke für den bereichernden und beruhigenden Beitrag
Ich lebe seit über einem Jahr mit meiner Trauer nach dem unerwarteten Tod meines Mannes. Nach Abklingen des inneren Schocks wird die Trauer tiefer. Fast ist es so, dass die Trauer mich tröstet. Es ist gut, dass sie da ist. Es ist stimmig. Ich brauche Zeit für mich und mit mir allein, um die Trauer zu spüren. Alte Trauer aus Kindertagen kommt dazu. So viel Trauer will „heute“ Raum haben und gelebt werden. Ich sage innerlich „Ja“ zu der Trauer, gehe langsam – so wie Du Jürgen es auch beschreibst – und merke, dass traurig sein für mich nicht ausschließt, mich in manchen Momenten fröhlich und lebendig zu fühlen. Ich bin dankbar, dass ich mir Zeit lassen kann, dass ich mein Leben mit mehr Ruhe und Pausen leben darf.
Es ist schön zu lesen, wie du deiner Trauer Raum gibt’s und sie tragen kannst. Meine Trauer begleitet mich seit Jahren …. Seit zwei Jahren will sie einfach nicht gehen und für mich fühlt sie sich wie eine mich umhüllende und durchdringende schwarze Wolke an. Diese Wolke hindert mich daran die schönen Dinge um mich herum zu fühlen, von denen ich weiß, dass sie da sind…. Ein täglicher Kampf der mich mehr und mehr erschöpft und doch hoffe ich, dass die Wolke sich irgendwann verzieht oder sogar auflöst. Bis dahin weine ich weiter und gehe mit meiner Trauer Schritt für Schritt weiter. Freunde und mein Hund sind mir auf diesem Weg eine große Unterstützung.