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Den Kampf im Kopf klären

Geschrieben von Jürgen Engel am .

Die Arbeit mit den inneren Anteilen über IFS – Internal Family Systems fasziniert mich zunehmend mehr, und meine aktuellste Entdeckung zweier sehr relevanter Teile in mir, möchte ich heute beschreiben.

Iris und ich haben gerade ein verlängertes Wochenende zusammen in einer wunderschönen Unterkunft im Grünen, völlig ohne die Geräusche der Stadt, verbracht. Es gab sehr viel Zeit zum Entspannen, Spüren, Pausieren, Verlangsamen und Genießen. Eine intensive Zeit der Reflexion und des tiefen Kontakts mit unseren Sehnsüchten und Bedürfnissen.

Wir sind in einem so präsenten und verlangsamten Zustand heimgekommen wie sonst nur nach der Teilnahme an langen, intensiven Retreats der Selbsterfahrung. Dann kam der erste Arbeitstag, und ich spürte einen großen inneren Widerstand, mich wieder an den Rechner zu setzen, schnell zu sein und zu „funktionieren“.

Ganz spontan und organisch hat Iris mich in einen tiefen Kontakt mit zweien meiner Anteile geführt, der zu einer dramatischen Erkenntnis über eine lebenslange, innere Dynamik in mir geführt hat.


Der Peitschenschwinger

Zunächst tauchte ein innerer Antreiber auf, den ich „den Peitschenschwinger“ nannte. Es ist ein Anteil, der mich sehr hart antreibt und diszipliniert. Er sorgt dafür, dass ich meine Arbeit mache, auch wenn ich keine Lust habe oder sie anstrengend oder langweilig ist. Das ist eine gute Sache. Leider arbeite ich für ihn niemals genug und auch nicht „gut genug“. Ich mache zu viel Pause, bin uneffektiv, faul, bequem und extrem genuss-süchtig.

Ich weiß auch, dass er den kleinen Jungen in mir schützt, der schon als Kind wusste, „nicht gut genug“ zu sein und die Gefühle, die mit Kritik und Abwertung einhergingen, nicht ertragen konnte. Die gute Sache ist, dass dieser Anteil für fast alle Errungenschaften und Leistungen in meinem Leben verantwortlich ist. Der Nachteil ist, dass er extrem hart, unempathisch und abwertend auftritt.


Der Chiller

Und an diesem Morgen, sicherlich wegen des vergangenen Wochenendes, war ein anderer Teil sehr präsent, den ich „den Chiller“ nannte. Das ist einer, der einfach IMMER nur „chillen“, also ausruhen, entspannen und genießen will.

Der Chiller ist SEHR, SEHR müde, und will sich immer nur entspannen. Am liebsten mag er nie wieder arbeiten oder überhaupt irgendetwas „müssen“. Er mag im Liegestuhl liegen, Musik hören, viel essen und trinken (vor allem ungesunde Sachen), in die Sauna gehen oder alles, was nicht anstrengend ist und sich gut anfühlt. Er mag auch langsam sein dürfen, seinen eigenen Rhythmus verfolgen, der viel langsamer als das Tempo der restlichen Welt ist.

Auf gar keinen Fall will er die Straße kehren, den Rasen mähen, einkaufen oder andere Erledigungen übernehmen – schon gar nicht in der Freizeit. Er findet fast alles andere anstrengend und hat NIE genug Zeit und Raum für Entspannung und Leichtigkeit. So richtig tief entspannen fällt ihm trotzdem schwer, weil der Peitschenschwinger ständig seinen Frieden stört und ihn an die nie endende „to-do-Liste“ erinnert.


Der innere Krieg

Soweit, so unspektakulär. Eine Idee dieser Teile hatte ich vorher auch, und mir ist bewusst, dass die meisten Menschen ähnliche Anteile und innere Dynamiken haben und kennen. Was mich tief getroffen und bewegt hat, war der liebevolle Kontakt mit beiden Anteilen und die Erkenntnis, dass beide praktisch nie miteinander kommunizieren, gleichzeitig aber schon mein ganzes Leben in einem dauerhaften, nahezu kriegsähnlichen Konflikt stehen.

Sie arbeiten grundsätzlich gegeneinander, und keiner hat eine Ahnung – geschweige denn ein Gefühl oder gar Mitgefühl – für die Wünsche und Bedürfnisse des anderen. Sie tragen eine dauerhafte Spannung miteinander aus, und mal gewinnt der eine, mal der andere.

Es war klar, dass 90 % meiner gesamten Energie nur für den Konflikt der beiden verschwendet werden. Mit den restlichen 10 % war ich in der Lage, mein Leben so zu leben und zu meistern, wie ich es bisher getan habe – was ich allein ziemlich bewegend und beeindruckend fand.


Tränen, Mitgefühl und ein Versprechen

Als ich die beiden liebevoll hören und verstehen konnte, flossen tief von Herzen gefühlte Tränen der Erleichterung – des Mitgefühls für den Schmerz und die Anstrengung vieler Jahrzehnte. Es war ein immens befreiendes und berührendes Gefühl und hielt lange an.

Es war absolut erstaunlich, wie schnell die beiden sich vertrauensvoll gezeigt und mitgeteilt haben – nach so vielen Jahren des Kampfes und der Ignoranz meinerseits. Beide haben keinen sehnlicheren Wunsch, als diesen Kampf und die Mühe aufzugeben und ihre schwere Aufgabe an mich, also mein „erwachsenes Selbst“, abzugeben. Beide sind sehr jung und für ihre Aufgaben absolut nicht ausgerüstet.

Ich habe ihnen nun versprochen, dauerhaft mit beiden liebevoll im Kontakt zu bleiben und regelmäßig zu spüren und zu prüfen, wer von welchen gerade etwas braucht oder mir etwas mitteilen will. Sie scheinen sehr offen für Kooperation zu sein, solange sie sicher sein können, gehört und verstanden zu werden.

Ich bin extrem inspiriert von diesem Kontakt und der Geschwindigkeit und Leichtigkeit, mit der er entstanden ist – und natürlich hochgespannt, wie sich diese neue Verbindung auf mein Leben auswirken wird. Ich werde sicher darüber berichten … 😊


Kennst du auch solche Anteile in dir? Wie erlebst du diese?
Behält einer die Oberhand? Streiten sie sich?
Kannst du sie empathisch hören und verstehen?
Ich freue mich über Austausch, Fragen und Rückmeldungen.

Herzlich
Jürgen

Du möchtest dich selbst auch auf diese Art und Weise kennen lernen und den inneren Kampf klären? Noch 2x in diesem Jahr hast du die Möglichkeit mit mir auf eine tiefe Reise zu dir, deinen Gefühlen, Bedürfnissen und inneren Anteilen zu gehen. Meine Living Compassion Retreats, sowohl im April als auch im August werden durch das IFS Modell der Inneren Anteile zunehmend bereichert und vertieft:

23. – 27. April in Aarbergen (noch 2 Plätze)

24. – 31. August in Selters

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