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Wenn Enttäuschung lebensbedrohlich wirkt

Geschrieben von Iris Bawidamann am .

Ich stehe am Abgrund. Ich habe Angst. Noch stehe ich sicher genug, um nicht abzustürzen, aber viel braucht es nicht. Da kommt ein Stoß von hinten. Ich falle, stürze ins Bodenlose. Der Fall scheint unendlich, wie in einem Traum.

Eine persönliche Begegnung mit einem lange verdrängten Gefühl

Foto von Arif Riyanto auf Unsplash

Der Moment, in dem alles zu viel war

Was tun, wenn ein kleiner Auslöser plötzlich eine Lawine innerer Gefühle lostritt?

Gestern bin ich an genau so einen Punkt gekommen. Eine kleine Enttäuschung am Morgen, dann noch eine. Beides für sich genommen eher banal. Doch als die dritte folgte – ebenfalls unscheinbar –, hat mein System „ausgesetzt“. In der Sprache des Inneren Familiensystems würde man sagen: Ein Teil hat übernommen. Und zwar mit voller Wucht.

Ich fühlte mich, als stünde ich am Abgrund. Erst hatte ich noch festen Stand, aber dann kam noch ein kleiner Stoß – und ich stürzte ins Bodenlose. Der Fall fühlte sich unendlich an, wie in einem Traum. Und er war mehr als ein Bild: Es war Todesangst, eine existentielle Panik, ausgelöst durch scheinbar harmlose Momente.

Woher kommt diese Wucht?

Ich konnte spüren: Meine Reaktion war völlig überproportional zum Anlass. Also habe ich hingeschaut. Und was ich fand, war tief.

Das Ergebnis einer systemischen Betrachtung war, das diese Angst nicht nur aus meiner eigenen Geschichte kommt. Sie reicht zurück – in die Generation meiner Großeltern. Enttäuschung bedeutete dort vielleicht mehr als Schmerz. Sie bedeutete Gefahr. Bedeutete: Werte, Identität, vielleicht sogar Überleben stehen auf dem Spiel.

Die Epigenetik lässt grüßen. Und mein Nervensystem kennt offenbar noch immer diese alten Signale.

Mein Umgang mit Enttäuschung – bisher

Lange Zeit habe ich Enttäuschung gar nicht als echtes Gefühl akzeptiert. Mein innerer Leitsatz war:
„Wozu soll das bitte gut sein? Take it or leave it.“
Enttäuscht zu sein, erschien mir absurd. Überflüssig. Unnötig. Ich wollte nach vorne, klar und  pragmatisch.

Und doch war da etwas in mir, das sehr wohl enttäuscht war – immer wieder. Ich habe es nur nicht zugelassen.

Der erste echte Kontakt

Gestern war das anders. Es war, als hätte ich zum ersten Mal die volle Tiefe dieses Gefühls gespürt – unverstellt, roh, echt. Die Schutzanteile, die mich sonst vor dieser Wucht bewahren, waren still. Vielleicht im Vertrauen. Und plötzlich war es da: dieses überwältigende, alles durchdringende Gefühl von Enttäuschung.

Es fühlte sich absolut lebensbedrohlich an. Wie Menschen, die Angst haben zu trauern, weil sie denken, sie würden in ihren Tränen ertrinken – so ging es mir mit Enttäuschung. Ich hatte keine Erfahrung damit, nur Vermeidung. Und jetzt war sie da. Mit voller Kraft.

Und dann: etwas Neues

Der Tag war anstrengend – für mich und für mein Umfeld. Und doch bin ich dankbar. Denn ich habe etwas Entscheidendes gelernt:
Enttäuschung ist nicht lebensbedrohlich.
Sie kommt, sie bleibt eine Weile – und sie geht wieder. Genau wie andere intensive Gefühle.

Ich muss nicht mehr so tun, als ob bestimmte Dinge mir nichts bedeuten, nur um die Enttäuschung zu vermeiden.
Was mir wichtig ist, ist wertvoll. Und wenn eine Hoffnung, eine Erwartung oder eine Vorfreude enttäuscht wird, dann ist meine Reaktion kein Fehler – sondern ein Ausdruck dessen, wie viel mir daran gelegen war.

Und du?

Wie gehst du mit Enttäuschung um?
Gibt es Gefühle, an die du dich noch nicht herantraust, weil sie zu groß, zu intensiv, vielleicht sogar bedrohlich wirken?

Vielleicht ist heute ein guter Moment, ganz behutsam Kontakt aufzunehmen. Mit einem inneren Anteil. Mit einem alten Gefühl.
Nicht, um es zu überwinden – sondern um ihm einen Platz zu geben.

„Ich lerne: Ich darf enttäuscht sein – und gleichzeitig lebendig, ganz, verbunden.“

Ich bin sehr gespannt auf deine Kommentare. Eigentlich wollte ich heute einen Artikel über unsere Neuigkeiten über das Jahresprogramm „Voll im Leben. Jetzt!“ 2026 schreiben. Statt dessen bekommt ihr jetzt mit diesem Artikel eine Idee, was es für mich heißt, voll im Leben zu sein, und zwar jetzt! Falls du dich gefreut hast, huete hier etwas über unser Programm zu erfahren, genieße deine Enttäuschung und vereinbare einfach einen Termin mit uns, bei dem wir quatschen können.

Von Herzen Iris

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