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Wertvoll sein – auch wenn niemand klatscht? So klappt’s!

Geschrieben von Jürgen Engel am .

Iris und ich sind seit einigen Wochen im Prozess einer höchst spannenden Selbsterforschung, die ich heute gerne mit euch teilen möchte, da sie mich und uns so bewegt und bereichert.
Auslöser war das Buch „Passionate Marriage“ von dem Paar- und Sexualtherapeuten Dr. David Schnarch, welches mir letztes Jahr bei Freunden in Dänemark in die Hände gefallen ist. Ich war sofort gefesselt von seinen Erkenntnissen und blieb an einem Kapitel über das Thema „Self Validation“, zu Deutsch in etwa „Selbstbestätigung“, auch im Sinne von Selbstwert, hängen.
Zusammengefasst sagt Schnarch, dass Paare oft ihren Selbstwert von der Zustimmung (Validierung) des anderen abhängig machen und dadurch in einen Kreislauf gegenseitiger Bestätigung geraten. Das erschwert ein eigenständiges Gefühl von Wert und Identität, weil Anerkennung ausbleibt, sobald der Partner kritisiert oder ablehnt. Er betont deshalb die Bedeutung von „Selbstbestätigung“: das innere Wissen um den eigenen Wert, unabhängig von äußerer Zustimmung. So entsteht innere Stabilität, die eine wirklich reife und tragfähige Nähe in der Beziehung ermöglicht.

Wow! Das hat gesessen. Sofort haben wir uns in der Beziehung wiedererkannt: Ja klar, wir finden uns beide ziemlich gut, und das ist wundervoll. Und das hat den schönen Nebeneffekt, dass wir uns kontinuierlich viel und oft gegenseitig wertschätzen. Wir haben sogar eine explizite Praxis daraus entwickelt: Die Wertschätzungsschleife. Die kann ich allen Paaren sehr empfehlen.

Wie schön, oder? Wo sollte also das Problem sein? Schnarch hat es für uns schmerzlich unbequem auf den Punkt gebracht: Es besteht eine starke Abhängigkeit von der Zustimmung, der Wertschätzung des anderen. Und ich weiß genau, was er meint: Sobald es eine Spannung gibt (was glücklicherweise recht selten passiert), Iris auch nur ein wenig auf Distanz geht, irritiert oder gar sauer auf mich ist, bricht fast meine Welt zusammen.

Wo ist dann meine ganze Stabilität, Sicherheit und Selbstwertschätzung? Die Erfahrung ist, dass es uns beiden sofort sehr schlecht geht, wenn der andere uns auch nur für kurze Zeit die Zuneigung und Wertschätzung entzieht. Es ist dann nahezu unmöglich, sich „gut“ zu fühlen und entspannt und mit Freude den Tag zu genießen. Das haben wir bisher so als gegeben hingenommen, aber auch nie tiefer reflektiert, welch krasse Dynamik das ist.

Ich dachte: Ja klar, wenn wir Beziehungsspannungen haben, geht es mir halt Scheiße. Das ist halt so, kenne ich nicht anders, ist doch klar…
Aber muss das so sein? Nein, muss es eben nicht. Schnarch sagt, dass es existenziell für eine stabile, erwachsene und sich weiterentwickelnde Beziehung ist, dass jeder Partner seinen eigenen Selbstwert findet, spürt, nährt und stärkt, unabhängig von der Zustimmung und Bestätigung des Anderen. Leuchtet ja auch irgendwie ein. Egal ob in der Partnerschaft oder außerhalb: Wenn ich mich nur gut finden kann, wenn andere mich gerade gut finden, ist das natürlich ein ziemlich wackeliges Kartenhaus. Immer muss ich fürchten, die Wertschätzung entzogen zu bekommen, auf der Hut sein, mich schützen, und schauen, wo die nächste Dosis Bestätigung und Wertschätzung herkommt.

Was tun wir jetzt mit dieser Erkenntnis?
Da wir ja Dyaden lieben und herausgefunden haben, dass sie wunderbar für ganz verschiedene Arten der Selbsterforschung geeignet sind, haben wir uns gedacht: Machen wir doch mal eine Dyade zu „Self Validation“. Wir nutzen tatsächlich den englischen Begriff, weil der für uns beide gut resoniert. Auf Deutsch wäre vermutlich „Selbstwert“, „Selbstbestätigung“, „Selbstliebe“ o. ä. passend. Da finde ich es wichtig zu schauen, was für mich selbst am meisten resoniert und auslöst.

Schon bei der ersten Dyade hat die Frage wie ein Blitz bei uns beiden eingeschlagen, und uns mit den tiefsten Tiefen unserer Anteile, Selbstzweifeln, Verletzungen und Verletzlichkeiten in Kontakt gebracht. Das war ziemlich herausfordernd und zuweilen richtig schmerzhaft bis fast unerträglich, aber eben auch höchst relevant und ganz klar auch hilfreich und heilsam. So ist es nicht bei der einen Dyade geblieben, sondern seit Wochen ist es nun unsere morgendliche Praxis, den Tag mit einer Dyade mit der Frage: „Wie lebt Self Validation jetzt in dir?“ zu starten.

Eine Erkenntnis, die mir gleich zu Beginn in der Dyade kam: Verschiedene Anteile von mir haben überhaupt gar kein Konzept dafür, was ein „Selbstwert“ sein soll. Das ist ein völlig fremdes, theoretisches Konzept, was für diese inneren Anteile überhaupt keinen Sinn macht.
Für diese Anteile existiert überhaupt kein eigenständiger „Wert“ in mir, der einfach so gegeben und existent ist, ohne dass ich dafür etwas tun oder erhalten müsste. Die einzige Strategie, die diese Anteile kennen, um wertvoll zu sein bzw. sich irgendwie wertvoll zu fühlen, ist, wenn die Außenwelt, also üblicherweise andere Menschen, dies bestätigen (also „validieren“). Wenn ich „Applaus“, also Wertschätzung, Zustimmung, Liebe etc. bekomme, dann bin ich offenbar wertvoll. Weil es mir Menschen bestätigen. Bleibt die Bestätigung aus, bin ich es nicht.

Wertvoll sein ist damit untrennbar mit Leistung und deren Anerkennung von außen verknüpft. Kein Wunder, dass diese Anteile ständig große Angst haben und total erschöpft sind, weil sie ständig viel leisten und aufpassen müssen, „gut genug“ zu sein. Und natürlich ist es nie genug…
Und dann, Stück für Stück, gibt es da Licht am Ende des Tunnels. Da tauchte das Gefühl und die Erkenntnis auf, dass es wohl doch Möglichkeiten und Erfahrungen gibt, diesen Wert, diese innere Verbindung und Sicherheit zu spüren, ohne dass es von außen stimuliert ist.

Wenn ich gut für mich Sorge. Eine Entscheidung treffe, die mir klar ist und die etwas in mir verändert. Ganz besonders auch wenn ich etwas beschließe und dann für mich auch umsetze. Interessanterweise besonders dann, wenn ich für meine Verhältnisse „diszipliniert“ bin, also Dinge konstant verfolge, die mir wichtig sind und die mir gut tun. Nicht eine Disziplin, weil ich „muss“ oder aus Moral oder Gehorsam, sondern weil ich es will und den Nutzen für mich spüre.

Ja, und irgendwie schwingt auch da immer noch die „Leistung“ mit, eben etwas erreicht zu haben, wenn es auch aus mir kommt. Was wäre, wenn ich einfach so krank wäre, dass ich überhaupt gar nichts tun oder leisten kann? Dass ich nur im Bett liegen kann und rund um die Uhr auf Hilfe von anderen Menschen angewiesen bin? Auch dann muss ich ja „wertvoll“ sein, einfach weil ich existiere. Könnte ich das dann auch noch spüren? Das finde ich nach wie vor schwer vorstellbar.

Offensichtlich ist: Wir sind noch lange nicht fertig damit. Es ist eine andauernde Erforschung und wir sind immer noch so neugierig und fasziniert, dass wir wohl noch eine ganze Weile die morgendliche Dyade mit dieser Frage fortführen werden. Wo wird es uns hinführen? Wir wissen es nicht. Aber wir haben keinen Zweifel, dass es wertvoll und spannend ist und auf die ein oder andere Art zu Entwicklung, Heilung und noch mehr Tiefe in der Beziehung führt. Stay tuned…. 😉

Was löst mein Bericht in dir aus? Resoniert etwas? Kennst du etwas davon? Lebt es ganz anders in dir? Lass es uns in einer Antwort im Blog wissen. Ich bin gespannt.

Herzlich
Jürgen

P.S. Eine meiner Lieblings-Strategien, meine Selbstliebe und meinen Selbstwert zu spüren und zu steigern, ist die „Living Compassion“-Praxis von Robert Gonzales. Im nächsten Retreat mit mir, Ende April, sind aktuell noch 2 Plätze frei. Vielleicht hast du Lust dabei zu sein und dein Selbstmitgefühl zu erforschen und zu erleben?

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