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Klassentreffen 2.0

Geschrieben von Jürgen Engel am .

Der eine liebt sie, die anderen hassen sie: Klassentreffen. Meist von Schule, Uni oder Ausbildung, viele Jahre oder auch Jahrzehnte später. Habe ich da überhaupt Lust drauf? fragen sich viele vorab. Wen erkenne ich noch? Wird es peinlich, weil ich mich an Namen nicht erinnere? Erinnert sich überhaupt jemand an mich? Wird es eine Nabelschau, nach dem Motto: „Mein Haus, mein Boot, mein Job, meine Frau …?“ Oder gibt es auch schöne Geschichten und Begegnungen? Viele Emotionen und Hoffnungen, aber auch eine Menge Ängste und Unsicherheiten schwingen da oft mit und können solch ein Treffen zu einer emotionalen Herausforderung machen.

Letzte Woche waren Iris und ich bei einem „Klassentreffen“ der besonderen Art, das uns so bewegt und inspiriert hat, dass ich heute darüber schreiben möchte.

Insgesamt habe ich fünf Mal das „Euro LIFE“-Programm mit Robert Gonzales durchlaufen: zweimal als Teilnehmer und dreimal als Assistent und Organisator. Der letzte Durchgang wurde leider frühzeitig durch die Krankheit und den tragischen Tod von Robert beendet. Jedes einzelne Euro LIFE war tief bewegend und transformierend, und ich möchte keinen Tag davon missen.

Eines dieser Programme, das sich immer über zwei Jahre erstreckte, begann im Jahr 2014. Nach Abschluss hat sich ein Teil der Gruppe fast jedes Jahr selbst organisiert zu einer Art „Klassentreffen“ zusammengefunden, um die Gemeinschaft zu genießen und weiter zusammen die Arbeit von Robert zu üben und zu vertiefen. Dieses Jahr hatten wir nun das 10-jährige Jubiläum, und tatsächlich haben sich zwölf Ehemalige aus Deutschland, der Schweiz, Polen, England, Belgien und den Niederlanden für fünf Tage wiedergetroffen.

Auch die vergangenen Treffen waren immer bewegend und verbindend, doch dieses Mal erreichte das Treffen eine Qualität und Intensität, die niemand von uns vorhersehen konnte.

Was war so besonders?

In unserer Zeit mit Robert Gonzales waren wir alle in der Rolle der Teilnehmenden. Die leitende Rolle des Trainers hatte Robert inne. Er hat das Programm vorbereitet und geleitet, für den Rahmen gesorgt, moderiert, Entscheidungen getroffen und wo nötig Unterstützung angeboten. Wir konnten uns völlig in seine achtsame und klare Leitung entspannen.

Jetzt, ohne die klare Trainerrolle, entstand zunächst ein Vakuum, das von uns zu füllen war. Es gab nicht mehr „den Trainer“, sondern lediglich eine selbstorganisierte Gruppe ohne feste Rollen und ohne Hierarchie.

„Alle sind gleich“ und entscheiden gemeinsam auf Augenhöhe klingt erst mal gut, führt aber oft auch zu vielen Spannungen, Unsicherheit und langwierigen Entscheidungsprozessen. Aus der Erfahrung haben wir uns entschieden, dass einfach reihum jeder aus der Gruppe eine Einheit übernimmt und dafür den Inhalt und Ablauf vorbereitet und leitet.

Das Ergebnis kann ich ohne Übertreibung als spektakulär bezeichnen.

Es war, als hätten wir aus dem Stand die Atmosphäre, Intention und Intensität vom Euro LIFE wieder zum Leben erweckt. Schon in der ersten Runde, dem „Check-in“, in dem jede*r zehn Minuten Zeit hatte, um sich mitzuteilen, war eine einzigartige Präsenz, Verbindung und Mitgefühl zwischen uns spürbar.

Es war deutlich, wie sehr jeder Einzelne von uns in den vergangenen zehn Jahren gewachsen und gereift war und welches Maß von Vertrauen und Zusammenhalt in der Gruppe entstanden ist, sodass wir von der ersten Minute an unsere tiefsten Emotionen, Wünsche, Bedürfnisse und Nöte zeigen konnten.

Egal wer von uns gerade die Leitung übernahm, konnte sich auf die volle Unterstützung der Gruppe verlassen. Alle machten mit und taten ihr Bestes, um die Angebote und Übungen mitzutragen, zu gestalten und eine gemeinsame Erfahrung zu ermöglichen. Die Abwesenheit von Robert als „dem Trainer“ hatte zur Folge, dass alle von uns mehr Verantwortung für den gesamten Rahmen übernahmen, egal ob in der Leitungs- oder Teilnehmendenrolle.

Natürlich spielt es auch eine entscheidende Rolle, dass wir uns alle nun schon zehn Jahre, manche auch schon deutlich länger kennen, und in dieser Zeit in zahllosen Übungen und Prozessen sehr viel voneinander gesehen und erlebt haben. Die Prozesse, die Robert uns beigebracht hat, erfordern sehr viel Präsenz und den Mut, sich mit elementaren Emotionen, Schmerzen, Angst, Unsicherheit und tiefsten Sehnsüchten zu zeigen und unterstützen zu lassen. Nur selten bekommen im üblichen sozialen Kontakt andere Menschen so viel von unserer Innenwelt gezeigt.

Sehr berührend war auch die Entwicklung zu sehen, die wir in einem Jahrzehnt durchlaufen hatten. Ja, wir sind gealtert, gereift und auch in vielen Belangen sicherer, ruhiger und entspannter geworden. Sicher ein Ergebnis der Beschäftigung mit Roberts Arbeit, jedoch nicht nur das: Viele haben sich weiterentwickelt, weitergebildet und neues Expertenwissen angeeignet, sodass wir plötzlich einen Reichtum an Möglichkeiten und Methoden im Raum hatten: Gewaltfreie Kommunikation, Living Compassion, Dyaden, IFS (Internal Family Systems), Breathwork und Embodiment, um nur einige zu nennen. Mit großer Leidenschaft haben Einzelne ihre Expertise und Leidenschaft in den Sessions eingebracht, sodass ein beeindruckend reichhaltiges Menü im Raum war.

Das alles veränderte die Erfahrung und Qualität unseres Treffens auf überraschende Art und Weise. Aus einem „Wiedersehen“ von Freunden und Seminarteilnehmenden wurde ein selbst organisiertes Intensivseminar mit einer Anzahl erfahrener Praktiker, die alle mit Freude und Großzügigkeit ihre Erkenntnisse, Methoden und Leidenschaften für die Gruppe präsentierten, sodass wir alle davon profitieren konnten. Was für ein Reichtum!

Besonders genossen habe ich in den Tagen die gegenseitige Wertschätzung und Augenhöhe, die wir miteinander leben und praktizieren konnten. Natürlich gibt es auch kleinere Spannungen, und nicht jeder fühlt sich mit jedem gleichermaßen nah und verbunden. Und gleichzeitig war da eine tiefe, friedliche, von gegenseitiger Dankbarkeit geprägte Atmosphäre. Als ob wir uns alle sehr bewusst waren, warum wir zusammengekommen sind und dass jede*r das Beste tut und gibt, was ihm oder ihr gerade möglich ist. Die Lehre und Qualität, die wir in den zwei Jahren mit Robert Gonzales erlebt haben, war so auf geradezu magische Art und Weise im Raum. Wir sind traurig, dass Robert nicht mehr unter uns ist, und gleichzeitig feiern wir ungemein, dass wir offenbar seine Lehre, sein Mitgefühl, das, was er uns vermitteln wollte, ausreichend integriert haben, sodass wir es jetzt miteinander in diesen Tagen zum Leben erwecken konnten.

Oft ist in den Tagen auch der Begriff „Familie“ gefallen. Alle von uns tragen eine Menge alten Schmerz aus der Ursprungsfamilie, die selten so heil und liebevoll war, wie wir es gerne gehabt oder gebraucht hätten. Diese „Familien-Qualitäten“ waren in den Tagen auf berührende Art und Weise präsent. Vielleicht ist es das, was man eine „Wahlfamilie“ nennt …

Für uns hat die Erfahrung zum wiederholten Mal den unschätzbaren Wert solch einer gewachsenen Gemeinschaft unterstrichen. Menschen, die sich gemeinsam auf den Weg gemacht haben, sich ihren Emotionen, Bedürfnissen, innersten Sehnsüchten, dem Gegenüber und ja, einfach dem Leben zu öffnen und hinzugeben.

In meiner Erfahrung geht all das in der Tiefe nur mit Unterstützung und in Gemeinschaft. Unsere Muster, Schmerzen und Traumata sind im Kontakt mit der Welt und anderen Menschen entstanden, und so können sie auch im Kontakt und im Mitgefühl mit uns selbst und anderen heilen. Schön, gemeinsam diesen Weg zu gehen.

Herzlich
Jürgen

P.S.: Ab Januar 2025 ist wieder ein neuer Beginn solch einer intensiven Gemeinschaft, die ein ganzes Jahr lang zusammen auf die innere Entdeckungsreise geht und sich dabei gegenseitig unterstützt. Wenn du auch Lust auf solch eine Reise in Gemeinschaft hast, dann schau dir unser Jahresprogramm „Voll im Leben – JETZT“ an. Da gibt es all das und noch mehr. 

HIER kannst du dir einen unverbindlichen Gesprächstermin mit uns reservieren, um herauszufinden, ob es der passende Ort für dich ist.

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