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Unerfüllte Bedürfnisse sind ebenso schön wie erfüllte….

Geschrieben von Jürgen Engel am .

Wie jetzt? Was soll an unerfüllten Bedürfnissen schön sein? Und genau so gut wie erfüllte? Das macht ja jetzt überhaupt keinen Sinn, oder….? Nun, es kommt auf die Perspektive an.

Ich erinnere mich gut an ein Gespräch mit meinem Lehrer, Robert Gonzales, vor einigen Jahren zu dem Thema. Mich hat seine Haltung dazu verwirrt und so fragte ich ihn: Hast du denn keine Präferenz für erfüllte Bedürfnisse gegenüber unerfüllten?

„Nein, natürlich nicht…“, sagt er mit einem erstaunten Gesichtsausdruck, als sei das eine total seltsame Frage. Ich kam mir (mal wieder) ein wenig doof vor, schämte mich ein bisschen, weil ich mir die Geschichte erzählte, dass ich offenbar nach wie vor nicht viel seiner Lehre der Schönheit der Bedürfnisse verstanden hatte und mich mit meiner Frage blamiert hatte…

Was -ganz nebenbei- natürlich völliger Quatsch war, so gut kannte ich Robert inzwischen. Aber meine schamvollen, jungen Anteile waren und sind bei einer solchen Gelegenheit nach wie vor ganz schnell am Start….

Mich hat die Antwort jedenfalls erstaunt und sie hallt bis zum heutigen Tag in mir nach. Jetzt, nach dem Tod von Robert Krzisnik, gerade mal 9 Monate nachdem Robert Gonzales gegangen ist, ist dieser Satz wieder sehr präsent in mir. Und mein Eindruck ist, dass ich ihn ein bisschen besser verstehe als damals.

Die Trauer ist da sehr lehrreich. Robert G. hatte seine erste Frau durch eine Krankheit verloren und auch viele Jahrzehnte später erzählte er uns mit glänzenden Augen und tiefer Traurigkeit von diesem Verlust. „My heart was broken open“, hat er uns damals dazu erzählt. Dieser Verlust war eine der wichtigsten und transformierendsten Erfahrungen für ihn. Entscheidend dafür war seine Haltung, das was ist, den Schmerz, die Trauer und die immense Kostbarkeit darin vollumfänglich anzunehmen, vollumfänglich zu fühlen und zu durchleben. Ohne Widerstand. Ohne Stories. In demütiger Akzeptanz des Lebens. Sein Herz ist nicht zerbrochen. Es ist aufgebrochen.

Diese demütige Akzeptanz gegenüber dem Leben, dem nicht steuerbaren Fluss der Ereignisse, der seinen eigenen Gesetzen folgt, die ich kaum verstehe, fehlt mir nach wie vor oft. Dann bin ich dagegen. Dann hadere ich. Dann ärgere ich mich. Dann beschwere ich mich. Und dann leide ich. Das ist die Folge. Das ist dann keine Trauer. Es ist Kampf und Widerstand. Leiden eben.

Die Trauer hat da eine ganz andere Qualität, sie fühlt sich anders an, sie ist weit, offen, weich und da ist Fülle, da ist Kontakt mit der Kostbarkeit dessen, was gerade nicht ist oder vielleicht nie mehr sein wird.

Faszinierend dabei ist für mich, das es mir zuweilen sogar leichter fällt in der Trauer voll verbunden mit mir und der Energie der Bedürfnisse zu sein als zu anderen Zeiten. Diese Trauer hat eine sehr starke Energie. Es ist nicht leicht in Worte zu fassen. Wenn sie fliessen darf und der Kopf mit seinem Geschichten und Widerständen Pause hat, dann ist das ein echt warmer und angenehmer Fluss. So wie ich es kürzlich im Newsletter zum Tod von Robert K. beschrieben habe.

Und in diesen letzten Wochen, in der Lebendigkeit der Trauer, ist dieser Satz wieder da: „My heart is broken open“, mein Herz ist aufgebrochen. Das beschreibt ganz gut meine Erlebnisse und Gefühle in dieser aktuellen Trauerphase.

Es wird täglich ein wenig schwächer, was ich bedaure, denn ich liebe diesen weichen, offenen und sehr verletzlichen Zustand sehr. Und die Erfahrungen damit zu sein sind faszinierend.

Besonders stark war in diesen Wochen mein Bedürfnis nach einem tiefen, authentischen Kontakt mit anderen, vor allem engen Freunden und Freundinnen. Durch den Verlust meines kostbaren Freundes ist mir sehr bewusst geworden, welcher Schatz da in meinem Leben war, und wie ich diese Freundschaft vorher nicht vollumfänglich, in der Tiefe in der ich sie jetzt spüre und vermisse, erleben, schätzen und zulassen konnte.

Das ist schmerzlich in dieser Trauer. Zu erkennen und zu betrauern, was ich NICHT gesagt habe, wo ich mich nicht voll gezeigt habe, wo ich die Angebote für tiefe, liebevolle Verbindung in der Freundschaft nur zum Teil annehmen konnte. Aufgrund meiner eigenen Ängste, Scham und inneren Begrenztheit tiefste Verbindung vollständig, roh und verletzlich zu geben und anzunehmen.

Und plötzlich, in diesem „aufgebrochenen Herzen“-Zustand, ging das. Viel leichter und mutiger als zuvor. Ich habe Dinge ausgedrückt und Nähe und Freundschaft eingeladen, dort wo ich es mich zuvor in dieser Offenheit auf keinen Fall getraut hätte. Und die Rückmeldungen waren phänomenal. Und zwar ausnahmslos. Es war und ist eine der faszinierendsten und lehrreichsten Erfahrungen seit vielen Jahren.

Jetzt schreibe ich das zum Teil auch für mich selbst auf, um es zu integrieren, zu verarbeiten und ja natürlich irgendwie zu konservieren. Ich halte schon nach wie vor immer mal gerne an Dingen und Zuständen fest…. 😉

In jedem Fall ist da ein Feuer und eine große Neugier entfacht bzw. verstärkt worden hier weiter zu forschen und meinen inneren Spielraum zu erweitern. Das Potential für ein tieferes Erleben von Verbindung, Nähe, Freundschaft, Liebe und berührt sein ist deutlich spürbar.

Und ich hoffe, dass bei dir beim Lesen auch etwas resoniert und dich vielleicht inspiriert zu überlegen, wem du wann etwas mehr von dir zeigen kannst, wo du ausdrücken kannst und magst, was bisher noch keine Worte oder keinen Mut gefunden hat.

Ich kann es sehr empfehlen!

Jürgen

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